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Kostenerstattung für ein Hörgerät

Urteil des AG Rottweil

Das AG Rottweil entschied: Wenn die Krankenkasse die Erstattung weitergehender Kosten für ein Hörgerät ablehnt, besteht ein Interesse auf die Feststellung der Einstandpflicht der Kasse. 

Dabei ist die Notwendigkeit des Hörgerätes unter Beachtung der sozialen und beruflichen Situation des Versicherten zu beurteilen. 

Der Kläger hatte die Erstattung der Kosten für zwei Hörgeräte in Höhe von 6.262,00 EUR aus dem mit der Krankenkasse geschlossenen Versicherungsvertrag begehrt. Zuletzt hatte er im Jahre 2008 ein Hörgerät bezogen, dessen Kosten ihm von der Beklagten erstattet worden waren. 

Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren prüfte das AG Rottweil, ob das Feststellungsinteresse des Klägers das Interesse der Beklagten überwiegt. Dies bejahte das AG Rottweil hier überwiegend. 

Festgestellt wurde ein Anspruch des Klägers in Höhe von 4.649.00 EUR gegen die Beklagte. Durch das Einreichen des Kostenvoranschlags sei der Kläger seiner Verpflichtung als Versicherungsnehmer grundsätzlich nachgekommen. Es sei dann Aufgabe der Versicherung, über das Ob und Wie der Erstattung richtig zu entscheiden. Die dem Kläger gewährte Erstattung von 2.600.00 EUR sei deutlich zu gering. Der Kläger habe mittels eines Sachverständigengutachtens bewiesen, dass eine medizinische Notwendigkeit für die Behandlung mit Hörgeräten besteht. 

Als medizinisch notwendig gilt die Versorgung mit einem Hörgerät, soweit durch sie ein Beitrag zur Wiederherstellung und / oder zur Sicherstellung des grundlegenden Sprachverständnisses geleistet wird. Dabei ist es zu berücksichtigen, welche Einschränkungen der Kläger ohne Hörgerät im sozialen und privaten Bereich erleidet. Es ist maßgeblich, inwiefern der Versicherte die Hörschwäche im Alltag selbst ausgleichen kann. Lediglich eine hohe Ästhetik oder ein hoher Komfort des Hörgeräts ist dabei nicht vom Versicherungsschutz umfasst. 

Vorliegend sieht das AG Rottweil das Hörgerät als durchaus geeignet an, die private und berufliche Teilhabe des Klägers wiederherzustellen. Der Kläger muss im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit mit mehreren Kunden gleichzeitig in Kontakt treten, telefonieren und Gruppentermine besuchen. Dies könne ihm die Behandlung via Hörgerät ermöglichen. 

Erforderlich ist das Hörgerät dann, wenn die zusätzliche Ausstattung eine Verbesserung des Sprachverständnisses erreichen kann, und nicht lediglich dem Komfort dient. Das AG Rottweil stellte fest, dass die vom Kläger gewählten zusätzlichen Ausstattungen wie der Raumklang 3.0, der Sprach Guard und der Tinnitus Sound Support keine „Übermaßhandlungen“ darstellen. Die Ausführungen des Sachverständigen hätten überzeugend dargelegt, dass der Kläger hinsichtlich seiner beruflichen und sozialen Stellung auf diese Ausstattungen angewiesen ist. 

Dass dem Kläger kein Anspruch in Höhe der ursprünglich geforderten 6.262.00 EUR zusteht, folgt daraus, dass Gerätezubehör wie etwa Streamer für kabellosen Empfang an PC und Telefon, Telefonadapter und Sender für Streamer nicht vom Aufwendungsersatzanspruch umfasst werden. Von den Kosten ohne dieses Zubehör sind dem Kläger nach den Tarifbedingungen der Krankenkasse 80 % zu erstatten. 

Nach: beck r + s 2018, 604; beck online

Mögliches Vorgehen gegen die Versicherung (Muster):

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

wir kommen zurück auf o.g. Versicherungsfall bzgl. des Hörschadens unseres      Mandanten und der Kostenerstattung des Hörgeräts „Widex Evoke 220“ zum      Gesamtpreis iHv EUR 3.900,00 (vgl. Rechnung vom 21.12.2018). Unter Berufung auf die in § 5 Abs. 2 der hier vereinbarten AVB RB/KK94 geregelte Kürzung wegen dem Übersteigen des medizinisch notwendigen Maßes hatten Sie mit Schreiben vom 13.12.2018 eine Kürzung auf EUR 2.600,00 vorgenommen.

 

1)

Ihre Gesellschaft missachtet in ihrem Schreiben vom 13.12.2018 die Besonder-  heiten des Einzelfalles, insbesondere die deutlich (!) höhere Hörqualität des "Widex Evoke 220“ im Vergleich zu den von Ihnen genannten Vergleichsgeräten, die       gerade nicht die Hörschädigung unseres Mandanten vollständig kompensieren. Laut zutreffender Feststellung des zuständigen Ohrenfacharztes Hr. Dr. Oltersdorf kann hier im konkreten Fall lediglich das „Widex Evoke 220“ den besonderen Umständen und der Erkrankung des Mandanten ausreichend gerecht werden. 

 

Zwingend zu berücksichtigen ist mithin die aktuelle Rechtsprechung hierzu, bspw:

 

BGH, Urteil vom 12.03.2003 - IV ZR 278/01;

AG München, Endurteil vom 06.12.2012 - 264 C 29655/11;

LG München I (20. Zivilkammer), Endurteil vom 05.11.2013 - 20 S 559/13;

AG Aachen (Richterin), Urteil vom 08.11.2012 - 105 C 1/12 = BeckRS 2014, 14527.

 

2)

Für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit eines Hörgerätes ist sowohl die soziale als auch die berufliche Situation des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen (AG Rottweil, Urteil v. 30.01. 2018 – 2 C 102/16 = r+s 2018, 604).

 

Die medizinische Notwendigkeit ist hier unstreitig, denn Ihre Gesellschaft hat den Versicherungsfall anerkannt und reguliert, lediglich eine Kürzung nach § 5 Abs. 2 der hier vereinbarten AVB RB/KK94 vorgenommen.

 

3)

Ihre Leistungskürzung nach § 5 Abs. 2 der hier vereinbarten AVB RB/KK94 ist unbegründet.

 

a)

Im vorliegenden Fall gewährt nur das Hörgerät „Widex Evoke 220“ im Störschall ein deutlich besseres Wortverstehen. Der Krankenversicherer kann den an einer Innenohrschwerhörigkeit leidenden Versicherungsnehmer bei der Kostenerstattung für verordnete Hörgeräte nicht auf preiswertere Hörgeräte verweisen, die im Störschall ein deutlich schlechteres Wortverstehen bewirken, aber die Schwerhörigkeit nach Auffassung des Krankenversicherers ausreichend lindern (LG Dortmund, Urteil vom 08.05.2008 - 2 S 59/07 = BeckRS 2008, 13970).

 

b)

Wir verweisen ferner auf das überzeugende Urteil des AG Kleve vom 10.02.2017. Dort heißt es: 

 

„Die Beklagte kann sich nicht erfolgreich auf den Leistungsausschluss nach   § 5 Abs. 2 Satz 1 im Teil II der Tarifbedingungen berufen. (...) 

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme konnte die Beklagte den ihr obliegenden Beweis nicht erbringen. (…) 

Die Beklagte hat deshalb den noch offenstehenden Teil der Anschaffung der Hörgeräte in der Hauptsache zu bezahlen“ 

 

(AG Kleve, Urteil vom 10.02.2017 - 35 C 335/15 = BeckRS 2017, 134675).

 

c)

Ihre Gesellschaft verkennt, dass das Hörsystem „Widex Evoke 220“ mit Blick auf die konkret vorliegende Schwerhörigkeit unseres Mandanten gerade keine Übermaßversorgung darstellt.

 

Das von Ihrer Gesellschaft vorgeschlagene Hörsystem „Widex Daily“, welches unser Mandant ebenfalls getestet hat, ermöglicht - im Vergleich zum Hörsystem „Widex Evoke 220“ - bei unserem Mandanten gerade kein angenehmes und ausreichendes Hörerlebnis. Vielmehr klingt insbesondere die Sprache „blechern“. Zudem werden Neben- bzw. Störgeräusche (z.B. Windgeräusche) kaum herausgefiltert, so dass das Hören für unseren Mandanten mit dem Hörsystem „Widex Daily“ geradezu schmerzhaft und damit unzumutbar ist.

 

Das Hörsystem „Widex Evoke 220“ hingegen ermöglicht unserem Mandanten ein angenehmes, weiches und natürliches Hören. Anders als das von Ihrer Gesellschaft vorgeschlagene Hörsystem „Widex Daily“ ermöglicht das Hörsystem „Widex Evoke 220“ weiterhin, Gesprächen bei hoher Geräuschkulisse und mit mehreren           Sprechern stressfrei folgen zu können, z.B. im Restaurant oder bei Familienfeiern. Störende Nebengeräusche werden natürlich abgesenkt und die Sprache klar verständlich hervorgehoben. Auch die Hörbarkeit - für unseren Mandanten - wertvoller leiser Klänge, bspw. Blätterrascheln, leises Vogelzwitschern oder leise Sprache, ist mit dem Hörsystem „Widex Evoke 220“ möglich.   

 

4)

Wie Sie wissen, trägt Ihre Gesellschaft die Beweislast für den von Ihnen behaupteten Leistungsausschluss (Leistungskürzung). 

 

Bei Hörgeräten ist maßgeblich, ob die angebotenen zusätzlichen Ausstattungsmerkmale zum Erreichen des Sprachverständnisses notwendig sind oder nur dem Komfort dienen. Soweit mit ihnen eine Verbesserung der Hörfähigkeit erreicht wird, ist der VR voll leistungspflichtig,

 

(Bach/Moser/Kalis, 5. Aufl. 2015, MB/KK § 5 Rn. 120).

 

Entsprechend der Zielsetzung der Kürzungsklausel ist bei der Bewertung genau zu prüfen, ob es am Markt andere Geräte zu einem günstigeren Preis gibt, die ohne besondere Ausstattungsmerkmale die gleiche Wirkung erzielen, d.h. nur die gleiche Wirkung führt zu einer Kürzung der Kosten, wobei der Versicherer dies vor Gericht zu beweisen hat,

 

(Bach/Moser/Kalis, 5. Aufl. 2015, MB/KK § 5 Rn. 121).

 

Dies ist mithin durch medizinische und technische Sachverständige vor Gericht zu klären; § 5 Abs. 2 MB/KK ist in seinem Rechtscharakter nach nämlich Leistungsausschluss mit der Folge, dass der Krankenversicherer bei der Kürzung darlegungs- und beweispflichtig dafür ist, dass es sich um eine Übermaßbehandlung handelte oder ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt,

 

(Bach/Moser/Kalis, 5. Aufl. 2015, MB/KK § 5 Rn. 135)

 

Bei der Frage, welche Maßnahmen aus medizinischer Sicht erforderlich sind, ist auf die konkrete Lebenssituation des Versicherten abzustellen,

 

(Prölss/Martin/Voit, 30. Aufl. 2018, MB/KK 2009 § 5 Rn. 29).

 

Da der Versicherte im Grundsatz davon ausgehen darf, dass die ihm verordnete Maßnahme erforderlich ist, ist der Versicherer für das Vorliegen der Kürzungsvoraussetzungen beweisbelastet,

 

(Prölss/Martin/Voit, 30. Aufl. 2018, MB/KK 2009 § 5 Rn. 31).

 

5)

Im Falle eines Gerichtsverfahrens wäre aus unserer Sicht vom Gericht neben einem medizinischen Sachverständigengutachtens zwingend auch ein technisches Sachverständigengutachtens einzuholen. Für die entsprechenden Sachverständigenvorschüsse wäre freilich Ihre Gesellschaft als beweisbelastete Beklagte des Rechtsstreits vorschusspflichtig. Die Entscheidung über die hier gegenständlichen Streitfragen würde sodann in den „unberechenbaren Händen“ des medizinischen und technischen Sachverständigen liegen.

 

6)

Mithin steht unserem rechtsschutzversicherten Mandanten eine Nacherstattung über EUR 1.300,00 zu, Ihre Gesellschaft befindet sich seit ihrer Ablehnung vom 13.12.2018 im Verzug, so dass seither nicht unerhebliche Verzugszinsen hinzuzurechnen sind. Allein zwecks Meidung eines langwierigen und kostenintensiven Rechtsstreits bietet unser rechtsschutzversicherter Mandant 

 

gütlich

 

an, dass Ihre Gesellschaft zur Gesamtabgeltung der streitigen Forderung hier lediglich einen Vergleichsbetrag iHv EUR 867,00 nacherstattet und Ihre Gesellschaft die außergerichtlichen Anwaltskosten nur aus dem Vergleichsstreitwert (EUR 867,00) übernimmt. An dieses Vergleichsangebot fühlen wir uns bis zum 14.02.2020 gebunden.

 

Mit freundlichen Grüßen

Graf Johannes Patientenanwälte Offenburg


Patientenanwalt.


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